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Tularämie – eine differenzialdiagnostisch wichtige, einheimische Zoonose

DR. MED. JOHANNES FRIESEN

Drei Kasuistiken, ein Erreger: Ein Kind trägt beim Spielen unterhalb der Augen eine ‚Kriegsbemalung‘ mit Kohle auf, die in einem Schuppen gelagert war und entwickelt in der Folge Fieber und eine Konjunktivitis. Die hierfür verantwortlichen Erreger gelangten wahrscheinlich zuvor über Nagerurin auf die Kohle. Die Eintrittspforte war vermutlich die periorbitale Haut und/oder die Konjunktiven. Ein weiteres Kind hält sich auf dem Baugrundstück der Eltern auf und entwickelt nach Kontakt mit Kaninchen eine Lymphknotenschwellung. Und ein Jäger entwickelt nach dem Erlegen und Ausnehmen eines Wildschweins Fieberschübe über mehrere Wochen mit generalisierter Lymphknotenschwellung. Serologisch gestellte Diagnose bei den drei Patienten: Tularämie (Hasenpest).

Erreger der Tularämie, einer bakteriellen Zoonose, ist Francisella (F.) tularensis, ein gramnegatives kokkoides Stäbchenbakterium. Es existieren vier unterschiedliche Subspezies von F. tularensis, klinische Bedeutung haben aber nur zwei: F. tularensis ssp. holarctica (Verbreitungsgebiet: nördliche Hemisphäre; Typ B) und die virulentere Subspezies F. tularensis ssp. tularensis (Verbreitungsgebiet: nur Nordamerika; Typ A).

Die europäische Gesundheitsbehörde (ECDC) registrierte in den Jahren 2019 bis 2023 durchschnittlich ca. 940 Erkrankungen pro Jahr in Europa. Ein Großteil der Fälle wurde aus Skandinavien (Schweden, Norwegen und Finnland), Frankreich und Deutschland (aufgrund der Labormeldepflicht nach § 7 Infektionsschutzgesetz) gemeldet, wobei die meisten Fälle aus Schweden stammten. Die Hauptübertragungszeit ist zwischen Juli und November, die Erkrankung kann jedoch über das gesamte Jahr erworben werden.

F. tularensis ist bei vielen Tierarten nachweisbar. Die Nachweisrate ist am höchsten bei Hasen und Kaninchen, jedoch können auch Mäuse, andere Wildtiere (Wildschweine, verschiedene Hirscharten), Marder, Zecken und Moskitos infiziert sein. Typische Übertragungswege sind der Haut- und Schleimhautkontakt mit Tierbestandteilen (Ausnehmen von erlegtem Wild) oder Wasser, der Verzehr unzureichend gegarten Fleisches (‚Hasencarpaccio‘), der Genuss von Wasser (anekdotisch auch Traubenmost), Einatmen von Aerosolen (Landwirtschaft, Jagd) und die Vektorübertragung (z. B. Stiche infizierter Zecken, Mücken und Bremsen). Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist sehr unwahrscheinlich. Zur Etablierung einer Infektion beim Menschen reicht die Aufnahme sehr weniger, wahrscheinlich bereits 10 Erreger. Die Inkubationszeit beträgt 3 bis 5 Tage.

Klinisch werden die glanduläre, die ulzeroglanduläre (am häufigsten), die okuloglanduläre, die oropharyngeale und die pulmonale Form unterschieden. Typische Symptome umfassen entsprechend lokale (nekrotisierende) und disseminierte Lymphknotenschwellung, Fieber, Konjunktivitis und pulmonale Verlaufsformen. Pulmonale Infektionen mit Typ-A-Stämmen besitzen unbehandelt eine hohe Letalität. Bei Typ-B-Infektionen sind Todesfälle sehr selten, aber z.B. bei hoher Erregerexposition durch Aerosolbildung nicht ausgeschlossen.

Die kulturelle Anzucht von F. tularensis ist auch im Labor 28 möglich. Dafür benötigt man invasiv gewonnenes Material (Lymphknoten, Gewebe) oder Blutkulturen. Die vorherige Mitteilung an das Labor ist dabei notwendig, um Infektionen beim Laborpersonal, die aufgrund der niedrigen Infektionsdosis leicht auftreten können, zu vermeiden. Ist eine invasive Diagnostik nicht möglich, kommt auch ein Antikörpernachweis im Serum in Frage. Dieser umfasst die Bestimmung von IgG- und IgM-Antikörpern. Sollte die initial untersuchte Probe ein negatives oder schwach positives Ergebnis erbringen, wird eine Verlaufskontrolle nach 2 bis 3 Wochen empfohlen, da die Synthese von zunächst IgM-, gefolgt von IgG-Antikörpern, je nach Infektionsdosis und Manifestation (lokalisiert versus generalisiert) auch erst im Verlauf nachweisbar sein kann. Außerdem stehen in Speziallaboratorien (z. B. Konsiliarlabor für Tularämie am Robert Koch-Institut, RKI) molekularbiologische Nachweismethoden zur sicheren Typisierung zur Verfügung.

Bei nachgewiesener Infektion sollte regelhaft eine antibiotische Therapie, meist mit einer Kombination aus Ciprofloxacin, Doxycyclin oder Gentamicin, erfolgen. Hierbei sind die Therapieempfehlungen des Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger (STAKOB) am RKI (s. u.) zu beachten. Insbesondere bei Verdacht auf schweren Verlauf sollte eines der Kompetenzzentren des STAKOB zügig involviert werden.

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Literatur:

  1. Epidemiologisches Bulletin 11/2016. www.rki.de
  2. Tularämie. RKI Ratgeber für Ärzte
  3. Jansen A, Schmidt W, Schneider T. Rabbit's revenge. Lancet Infect Dis. 2003 Jun;3(6):348. doi: 10.1016/s1473-3099(03)00656-x.
  4. Hinweise zur Therapie von Tularämie. Stand: März 2025; veröffentlicht unter www.rki.de/stakob, DOI: 10.25646/9147.2
  5. Mikrobiologischer Qualitätsstandard (MiQ) 35a. 2016. Infektionsimmunologische Methoden

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