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Die Bedeutung der Kidney Failure Risk Equation (KFRE) für die Bewertung der Nierenfunktion

Die chronische Nierenkrankheit (CKD) betrifft weltweit Millionen von Menschen und stellt eine zunehmende Herausforderung für die öffentliche Gesundheit dar.

MAHMOUD DBASE

Angesichts der begrenzten Zahl an Nephrologinnen und Nephrologen ist ein risikoadaptiertes Management entscheidend, um eine Progression zum terminalen Nierenversagen frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Die Kidney Failure Risk Equation (KFRE) bietet ein evidenzbasiertes Instrument zur quantitativen Abschätzung des individuellen Risikos eines nierenersatztherapiepflichtigen Nierenversagens innerhalb von zwei oder fünf Jahren.

Entwicklung und Prinzip der KFRE

Die KFRE wurde 2011 von Navdeep Tangri et al. an der Universität Manitoba (Kanada) entwickelt und seither in zahlreichen unabhängigen Kohorten – auch in Deutschland – validiert. Sie basiert auf vier klinisch leicht verfügbaren Parametern: Alter, Geschlecht, geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) und Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin (UACR) (4-Faktoren Modell). Es besteht ebenfalls die Möglichkeit mit weiteren Blutwerten wie Albumin, Phosphat, venösem Bikarbonat, korrigiertem Kalzium u.a. die Vorhersage etwas zu verbessern. Auf diese Option wird hier verzichtet, da diese Laborwerte in Deutschland nicht regelmäßig erhoben werden, insbesondere die Bestimmung des venösen Bikarbonats ist unüblich.

Die Variablen ermöglichen die Berechnung eines absoluten Risikos für den Eintritt einer Nierenersatztherapiepflicht in den kommenden zwei bzw. fünf Jahren. Die Vorhersagegüte der KFRE ist ausgezeichnet.

Vergleich mit der KDIGO-Klassifikation

Die bisher übliche KDIGO-Klassifikation der CKD (ein internationales System zur Einteilung von Nierenerkrankungen, das von der Organisation Kidney Disease Improving Global Outcomes entwickelt wurde, sie umfasst eine Klassifikation für chronische Nierenerkrankungen) beruht auf der Kombination von eGFR und Albuminurie, bleibt jedoch in der Prognoseabschätzung begrenzt. Sie liefert keine konkreten absoluten Risikowerte. Vorteil der Risikoabschätzung mit der KFRE gegenüber der KDIGO-Klassifizierung ist, dass Alter und Geschlecht zusätzlich berücksichtigt werden, dass ein zeitlicher Bezugsrahmen gegeben wird und dass das Risiko eines Nierenversagens als absolutes Risiko nachvollziehbar ist. Insbesondere für ältere Menschen, bei denen die Abgrenzung zwischen einer physiologisch abnehmenden eGFR und einer krankheitsbedingten eGFR nicht sicher möglich ist, kann die KFRE zu einer besseren Einschätzung des Risikos führen.

Anwendung in der Praxis

Die Verwendung der KFRE wird sowohl von der 2024 aktualisierten internationalen KDIGO-Leitlinie als auch der deutschen Leitlinie Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis empfohlen. Die Risikoabschätzung erfolgt über validierte Online-Kalkulatoren, etwa unter www.risiko-nierenversagen.de oder https://nieren.app/calculator/kfre. Diese ermöglichen Ärztinnen und Ärzten eine schnelle Berechnung des individuellen Risikos für das Fortschreiten einer chronischen Nierenkrankheit. Nach Tangri et al. gelten folgende Empfehlungen:

• Ab einer KFRE ≥ 3 bis 5 % in 5 Jahren ist laut KDIGO die Zuweisung zu einem Nephrologen/einer Nephrologin indiziert.

• Bei einer KFRE von ≥ 10 % in 2 Jahren empfiehlt die KDIGO eine multidisziplinäre umfassende Betreuung der PatientInnen durch Hausärztin/Hausarzt, Nephrologin/Nephrologe usw.

Bei einer KFRE ≥ 40 % in 2 Jahren ist gemäß KDIGO die Planung der Dialyse zu erwägen.

Interpretation

Es unterliegt subjektiven und individuellen Faktoren, welche Risikoschwelle als bedrohlich empfunden wird oder ob eine Entscheidung, z. B. für eine Überweisung in die Nephrologie oder die Verordnung bestimmter Medikamente ausgelöst wird.

Es gibt keinen objektiven und allgemein akzeptierten Maßstab, ein bestimmtes Risiko als niedrig, mittel oder hoch einzuordnen. Ein absolutes Risiko von 5 % ist bei einem hochbetagten Patienten im Pflegeheim anderes zu bewerten als bei jüngeren Patienten mit einer längeren Lebenserwartung. Daher macht die Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ keine Angabe zu einer konkreten Risikoschwelle, ab der eine bestimmte Maßnahme erfolgen sollte. Vielmehr soll die Risikoabschätzung ÄrztInnen und PatientInnen unterstützen, gemeinsam unter Berücksichtigung der individuellen Faktoren eine informierte Entscheidung zu treffen.

Eine orientierende Empfehlung ist, bei einer Risikoabschätzung von mehr als 3 bis 5 % in den nächsten 5 Jahren eine Überweisung in die Nephrologie zu erwägen. Dazu gibt es in der Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ eine grafische Entscheidungshilfe. Viele Grunderkrankungen der CKD können in der Hausarztpraxis behandelt und überwacht werden.

Abbildung 1. Entscheidungshilfe zur Überweisung in die Nephrologie;’ adaptiert (3)

Limitationen

Es ist wichtig zu verstehen, dass ein Risikokalkulator wie die KFRE nur eine Schätzung eines Risikos abgibt. Andere, nicht in der Formel berücksichtigte Faktoren können im Einzelfall für das individuelle Risiko eine größere Rolle spielen. Behandlungseffekte, die z.B. die UACR beeinflussen, können zu falschen Annahmen führen, ebenso Messschwankungen oder akute Ereignisse, die kurzfristig die eGFR oder UACR beeinflussen. Die KFRE ist nur für Erwachsene mit einer eGFR < 60 ml/min/1,73 m² geeignet und wurde bisher nicht für Kinder oder Schwangere validiert.

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Literatur:

  1. Chenot, J-F et al. Das Risiko für Nierenversagen besser abschätzen. Medical Tribune 03.2025
  2. Chenot, J-F et al. Abschätzung des Progressionsrisikos zum Nierenversagen. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 04.2025
  3. Versorgung von Patient*innen mit chronischer, nicht-nierenersatztherapiepflichtiger Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis. Chronisch eingeschränkte Nierenfunktion in der Hausarztpraxis. S3-Leitlinie. AWMF-Register-Nr. 053-048.DEGAM-Leitlinie Nr. 22 (Version 2.0), 06.2024
  4. Tangri N, Grams ME, Levey AS, et al. Multinational Assessment of Accuracy of Equations for Predicting Risk of Kidney Failure: A Meta-analysis. JAMA. 2016;315(2): 164–174. doi:10.1001/jama.2015.18202

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